T E X T - SA B I N E KURZ FOTOS - FRANCK GODDIO/ HILTI FOUNDATION, FOTO - CHRISTOPH GERIGK und ARCHIV
Sakrales und Profanes
SEIT 20 JAHREN DURCHKREUZT DER FRANZÖSISCHE UNTERWASSERARCHÄOLOGE FRANCK GODDIO DIE MEERE, IMMER AUF DER SUCHE NACH EINER HERAUSFORDERUNG. KUNSTSCHÄTZE UND MÜLL HAT ER DABEI VOM GRUND DER OZEANE GEBORGEN, ALLTAGSGEGENSTÄNDE UND HISTORISCHE KULTOBJEKTE. VOR DER ÄGYPTISCHEN KÜSTE GELANG IHM SEIN BISLANG GRÖSSTER COUP – DER AUCH FABELHAFTE SCHMUCKSCHÄTZE ANS TAGESLICHT ZURÜCK GEBRACHT HAT.
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AMULETT ODER OPFERGABE? DER GOLDENE RING MIT DEM ÖLLÄMPCHEN-DEKOR (MITTE) GIBT DEN FORSCHERN BIS HEUTE DEUTUNGS-RÄTSEL AUF. BLEIKREUZE (RECHTS) DIENTEN MEIST ALS VOTIVGABEN. OBEN: GOLDSCHMUCK AUS FRÜHCHRISTLICHER ZEIT
DIE LISTE VON FRANCK GODDIOS ERFOLGEN ist lang. 1997 entdeckte er vor der philippinischen Küste eine chinesische Dschunke, die mit Keramik aus der Ming-Dynastie beladen war. Zwei Jahre später stieß er auf ein versunkenes Schiff aus Napoleons Flotte. Vor der ägyptischen Küste bei Abukir schließlich buddelte Goddio ein paar antike Münzen aus dem Schlick – ein unscheinbarer Fund, der zum spektakulärsten Erfolg seiner Laufbahn führte: zur Wiederentdeckung der antiken Hafenstädte Heraklion und Kanopus sowie des antiken Hafens von Alexandria. Nach verheerenden Naturkatastrophen ruhten die bedeutenden Stätten mehr als 1.000 Jahre vergessen am Meeresgrund, so dass Experten ihre Existenz sogar bezweifelten. Franck Goddio hat sie gefunden.
ZWISCHEN INSTINKT UND HIGHTECH Das Meer ist ein ganz besonderer Lebensraum, denn der Luftabschluss konserviert, was sonst dem Verfall ausgesetzt wäre. Auch deshalb hat die Schatzsuche unter Wasser eine lange Tradition: Schon der Perserkönig Xerxes ließ im Jahr 480 vor Chr. Nach Schätzen der gesunkenen persischen Flotte tauchen. Die moderne wissenschaftliche Unterwasserarchäologie allerdings ist eine vergleichsweise junge Disziplin. Funde und Bergungen sind heute nur noch mittels Hightech-Forschung möglich. GPS (Global Positioning System), Seitenband- Sonar, Sediment-Sonar, magnetometrische und bathymetrische Verfahren (letzteres meint die Messung der Zeit, die Mikro- oder Schallwellen unter Wasser brauchen) sind neben den aus der Archäologie übernommenen, eher geisteswissenschaftlichen Methoden Standard. Billig ist solche Forschung ebenfalls nicht – und deshalb ohne private Sponsoren kaum zu realisieren.
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„INDIANA JONES DER MEERE” Wer also heute noch etwas leisten will in der Unterwasserarchäologie, muss – wie Franck Goddio – auf vielen Gebieten ein Tausendsassa sein. Der studierte Statistiker und Mathematiker arbeitete eigentlich auf die ganz große Karriere bei der Weltbank hin. Kurz vor dem Ziel machte er sein Tauch-Hobby zum Beruf. Heute gilt er seinen internationalen Fans als erfolgreichster Unterwasser- Archäologe der Welt. Viele Fachleute allerdings schmähen den Autodidakten – „Glücksritter“, „Showmaster“ oder „Indiana Jones der Meere" sind noch die mildesten Bezeichnungen für den findigen Selfmademan, der ganz nebenbei ein geniales PR-Talent in eigener Sache ist. Dabei konnten die Experten ihm bislang keine Fehler etwa bei der Bergung wertvoller Kunstschätze nachweisen, denn Goddio ist clever genug, mit hochrangigen Experten zusammen zu arbeiten.
UNTERGEHENDE ÄGYPTISCHEN HOCHKULTUR Franck Goddios Funde vom Nildelta stammen aus der Zeit zwischen 700 v. Chr. und 800 n. Chr., einer breiten Zeitspanne also, als der Zenith der ägyptischen Hochkultur bereits überschritten war. Von überragender kunsthistorischer Bedeutung sind die Artefakte selbst nicht unbedingt. Als faszinierender Beleg dafür, wie sehr bereits frühe Kulturen sich gegenseitig beeinflusst haben, sind sie allerdings allemal überzeugend. Kanopus, berühmt für seinen Osiris-Tempel, galt in der Antike als religiöses Zentrum und Stadt der freizügigen Feste zugleich. In der christlichen Ära entstanden bedeutende Klosteranlagen. Heraklion – mit ägyptischem Namen Thonis – war modernen Archäologen nur aus antiken Texten bekannt. Die griechisch geprägte Handelsmetropole an der Nilmündung existierte bereits . Schmuck Magazin 4
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lange, bevor Alexander der Große nach Ägypten kam. Kolossalstatuen aus rotem Granit – von Goddio aus dem Schlamm geborgen – prägten neben Tempeln das Bild der antiken Lagunenstadt. Das Königsviertel von Alexandria versank ebenfalls im Meer. Die Stadt war berühmt für Tempel, Paläste, Säulengänge und Statuen sowie den 130 m hohen Leuchtturm – eines der antiken Weltwunder – und die größte Bibliothek der Antike mit fast einer halben Million Papyrusrollen.
SCHMUCK ZWISCHEN KULT UND PRUNK Die Goldschmiedearbeiten und religiösen Objekte, die Franck Goddio vor der ägyptischen Küste aus dem Meer geborgen hat, stammen aus unterschiedlichen Epochen und Stilrichtungen. Ringe und Ohrschmuck, filigrane Anhänger, kompakte Bleikreuze – die Objekte belegen, dass Schmuck auch in der Antike mehr war als bloße Zierde. Ein Rest von Geheimnis umweht die Schmuckschätze, denn mit heutigen Augen lässt sich nicht immer klar erkennen, ob ein Schmuckstück sakralen oder profanen Zwecken gedient hat. Eine goldene Perle aus spätpharaonischer oder ptolemäischer Zeit in Form eines Horusauges oder Oudjat etwa verweist, so sagen die Experten, auf den altägyptischen Gott des Himmels und des Lichts. Im Kampf mit Seth, dem Stifter von Unfrieden und Chaos, verlor Horus die Sehkraft und wurde später auf magische Weise wieder geheilt. Horus trug aber auch Sorge für die Seelen der Toten; das Horusauge wird deshalb auch als Symbol für das Leben nach dem Tod angesehen. Schmuck, Amulett oder Opfergabe – mit letzter Sicherheit wissen moderne Experten das nicht.
HOCHZEITSRINGE UND ERINNERUNGSSCHMUCK Hochzeitsringe wie das in der Ausstellung gezeigte byzantinische Exemplar – gefertigt zwischen dem 7. und dem 8. Jahrhundert n. Chr. – gehen auf eine römische Hochzeitszeremonie zurück, die ›dextrarum iunctio‹. Das Brautpaar legte dabei die rechten Hände übereinander – ein Motiv, das auch für die Ringe übernommen wurde. Zwischen den Brautleuten standen auf den Darstellungen
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| ... | AUS DEM MEER GEBORGENGOLDARBEITEN DER ANTIKE IN UNTERSCHIEDLICHEN TECHNIKEN. DER SCHLICHTE RING (OBEN) BESTEHT AUS GEFLOCHTENEM GOLDDRAHT, BEI DEN ANDEREN OBJEKTEN SIND U. A. SCHMIEDE- UND TREIBARBEITEN ZU SEHEN. UNTEN RECHTS EIN AMULETT MIT DEM SO GENANNTEN HORUSAUGE
500 Artefakte von der Statue bis zur Goldmünze, die der französische Unterwasserarchäologe Franck Goddio vor zehn Jahren vom Grund des antiken Hafens von Alexandria geborgen hat, sind noch bis zum 27. Januar 2008 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn zu sehen. Der Katalog „Ägyptens versunkene Schätze“ ist im Prestel-Verlag erschienen.
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Juno oder Concordia. In der Spätantike wurde der Ritus christianisiert, und anstelle der römischen Göttinnen wurde Christus abgebildet. Solche Schmuckadaptionen waren im gesamten Mittelmeerraum üblich. Einer der bedeutendsten Schmuckfunde ist ein goldener Ring, der ein filigranes Öllämpchen als Aufsatz trägt. Er wird auf das 6. bis 8. Jh. n. Chr. datiert. Die Deutung des Ringes gibt den Forschern bis heute Rätsel auf. Öllampen hatten in den Pilgerheiligtümern des byzantinischen Reiches kultische Bedeutung – wurden solche Ringe als eine Art Erinnerungsschmuck getragen oder dienten sie als Opfergaben?
BANALES TRIFFT AUF KUNST Schmuckvotive, mit denen Pilger ihren Dank zum Ausdruck brachten, waren in der Antike weit verbreitet. Bleikreuze oder Bleitafeln mit dem Kreuzmotiv dürften dazu gezählt haben. In römischer Zeit brachte man verschiedenen Göttern kleine Goldbleche mit religiösen Inschriften dar. Weder die Kunst- noch die Schmuckgeschichte muss umgeschrieben werden nach Franck Goddios Funden. Wie sich aber das Banale und das Kunstvolle treffen in den Objekten, die er geborgen hat, wie Sakrales und Profanes ineinander übergehen, das hilft uns einmal mehr zu verstehen, wie sehr magische und religiöse Ideen das gesamte Leben der Menschen geprägt haben - und wie stark diese unterschiedlichen Vorstellungen sich in ihrem Kern doch gleichen. .
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